Georg Hempel
von Michael Rüdiger
Georg Hempel
* 28.09.1894; † 30.12.1969
Georg Hempel wurde 1894 in Hamburg-Altona geboren. Er war
Soldat im Ersten Weltkrieg und begann in den Schützengräben
und Unterständen mit dem Scherenschnitt. Schnell wurde er so
bekannt, dass 1921 Westermanns Monatshefte ausführlich
Hempel als
junger Soldat
im Ersten Weltkrieg
Westermanns Monatshefte im Oktober 1921:
"Ein Blatt aus dem Totentanz des
Lebens ist die "Letzte Ernte": der
Bauer und in seinen Fußstapfen,
Freund Hein, ihm zugesellt wie ein in
gleichem Schritt und Tritt gehender
Kamerad, der es sanft machen wird
mit dem Alten.
Wie jede Kunsttechnik, so hat auch
die des Scherenschnittes im Lauf der
Jahrhunderte - die älteste Silhouette,
die wir kennen, stammt aus dem
Jahre 1631 - mancherlei Wandlungen
durchmachen müssen.
Neuerungslustig und
eroberungssüchtig, wie der Mensch
ist, wollte er sich auf die Dauer nicht
mit der Einfachheit und
Bestimmtheit begnügen, die zum natürlichen Grundstil dieser Kunstübung gehört, und versuchte es
auch hier mit allerlei Spielarten, um die Vorgänger zu übertrumpfen und dem Stoff und Verfahren
neue, wie er meinte, feinere Reize abzugewinnen. So paarte sich mit der Schere die Zeichen- oder
die Reißfeder, und das Papier musste sich erst verschiedene Färbungen, dann auch die Klebemanier,
also das Über- und Nebeneinanderfügen
buntfarbiger Ausschnitte gefallen lassen. Kein Zweifel, dass durch diese "Propfungen" und
"Impfungen" zuweilen höchst aparte und kokette Erscheinungen zutage gekommen sind; ob aber
immer Veredelungen des ursprünglichen Stammes, darf man billigerweise bezweifeln. Jedenfalls ist
nach all diesen künstlichen Überzüchtungen, in denen sich zumal die letzten Jahrzehnte nicht genug-
tun konnten, der Rückschlag nicht ausgeblieben.
Da ist diese "Schusterwerkstatt".
Nun ja, eigentlich und ursprünglich mag das ja ein Schuster
namens Knieriem oder Pechdraht in der Arnsiel- oder
Dreierstraße sein, der sich da eben mit spitzem Finger einen
Nagel aus der Dose langt, aber zugleich ist es das
Schustertum ganz im allgemeinen: dies verträumte Hocken
bei der Glaskugel, durch die das Licht scheint, während der
Gimpel im Bauer und der gepflegte Blumenstock auf die
wehleidig verkrümmten oder melancholisch dahängenden
Stiefel herabsehen ...
Strenge Meister, wie Heinrich Wolff in Königsberg, sind
aufgetreten, um dem Instrument der Schere, das der
Romantiker Philipp Otto Runge als eine Verlängerung der
Finger begrüßt hatte, ihr Erstgeburtsrecht auf diesem Felde zu
wahren, und minder strenge Theoretiker forderten, unter
Hinweis auf die Übung der klassischen Silhouettenzeit
des 19. Jahrhunderts entschiedene Rückkehr zu der
Linienführung, die allein dem echten unverfälschten
Silhouettenstil entspräche.
"Das submisseste Gesuch": dieser vor dem
hochmögenden Herrn Aktuarius demütig den Hut
ziehende Supplikant in der öden, durch einen hohlen,
hochbeinigen Stuhl angedeuteten Amtsstube.
Mit den Scherenschnitten Georg Hempels würden diese "Merker" wohl zufrieden sein müssen. Denn
er bekennt sich, wie die hier wiedergegebenen sieben Schnitte zeigen, zu der Vorherrschaft der
Umrisslinie, und er verschmäht nicht nur jede Mithilfe eines anderen Instruments außer der Schere,
sondern auch jede andere "malerische" Wirkung als die des Gegensatzes von Schwarz und Weiß. Das
gibt seinen Blättern das Charaktervolle, Ehrliche und Ursprüngliche, das gut Handwerkliche, das
auch der Holzschnitt sich so glücklich bewahrt, eben weil wir hier der "Hand" des "Werkenden" so
leicht folgen können und seine Nachbildung in Versuchung kommt, das Ursprüngliche und
Erstmalige durch fremde Zutaten zu verfälschen.
Erste Frühlingsbotschaft
Heimritt
... so ist es unserm Scherenkünstler auch in
... nein, uns auch etwas von der Seligkeit der
den beiden Naturausschnitten gelungen,
Ersten Frühlingsbotschaft und dem Frieden
nicht bloß Bäume und Pferde, Vogel und Reiter des Heimritts nach getaner Arbeit empfinden
aus dem Papier zu holen, ...
zu lassen.
Hempel (geb. 1894 in Altona) ist für unsere gegenwärtige Zeitrechnung - die vier Kriegsjahre
scheiden ja für die Entwicklung der meisten Künstler aus - ein noch junger Mann. Aber er darf stolz
darauf sein, dass er sich aus ärmlichen Verhältnissen durch eigene Kraft nach mancherlei
mechanischen Brotarbeiten zur freien Künstlerschaft emporgearbeitet hat Zum Scherenschnitt hat ihn
der Krieg gewiesen, den er von Anfang bis zum Ende im Feldheer mitgemacht hat - wir wissen ja,
wie viele kunstfrohe und kunstfertige Hände in den Schützen-gräben und Unterständen auf den
Scherenschnitt gelenkt worden sind.
Fuchs unter Bäumen
... das am Boden hinschnürende Füchslein, das mit eingekniffener Rute nach Nahrung sucht,
während das Vöglein, wohlgeborgen auf dem Zweig, seiner lacht.
Hempel fing da an wo auch der Scherenschnitt angefangen hat, bei der Profillinie des Kopfes.
Kameraden lieferten die nicht immer willigen, aber schließlich immer dankbaren Modelle. Erst als er
es in dieser Porträtkunst zu einer ihn selbst befriedigenden Fertigkeit gebracht hatte, ging er zu
Pflanzen, Tieren und der weiteren Umwelt über, um sich so allmählich zu "Bildern" durchzutasten.
Er war voll und ganz auf sich selbst angewiesen ohne Lehrmeister und Berater, ohne die Grundlage
einer rechten zeichnerischen Vorbildung. Eigen war der Weg, den er einschlug Man hätte denken
sollen Naturnachahmung sei das Seil gewesen, an dem er sich weiterarbeitete. Aber nein! Davor
scheute er sich, als fürchte er die Bloßstellung vor der Wirklichkeit. So holte er zunächst alles aus der
Phantasie - wie wollte die ihn Lügen strafen, wenn er entgleist war? Nicht dass das Auge zum Sehen
und Beobachten unlustig gewesen wäre! Aber er verstand noch nicht, das Gesehene durchzuarbeiten,
es vom Zufälligen und Belanglosen zu entschälen und es neu nach künstlerischen Gesichtspunkten
zu formen. Dieses Zögern und Zaudern vor der Wirklichkeit, dieser fleißige Umgang mit seiner
Phantasie und seinem Innenleben verschaffte dem Künstler den Vorteil, sozusagen mit
Persönlichkeit, mit eigener Anschauung und eigenem innerlichem Erlebnis gerüstet zu sein, als er
doch zum Waffengang mit sicht- und greifbaren Dingen antrat. Das eine aber bewahrte er sich von
jener Selbstisolierung her bis heute: knechten ließ er sich von dem rein Gegenständlichen nicht, stets
suchte er durch das Augenblickliche Zufällige und Besondere
durchzudringen zum Bleibenden, Bezeichnenden und
Allgemeinen. Oder wie die heutige Ästhetik das ausdrücken
würde: mit dem Impressionisten in ihm vertrug sich der
Expressionist, der seine eigenen inneren Gesichte den
Erscheinungen und Eindrücken der Außenwelt entgegensetzt. F.
D.
... und der Rattenfänger mit dem flatternden Mantel, so ganz
versunken in seine Schalmeitöne, dass ihm die Tierlein, die er
lockt, fast auf der Nase herumspielen.
Hempels Wohnung und Atelier Im Winkel 2
Hempel ist heil aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt. Vier
Jahre als Soldat liegen hinter ihm. Er ist gut gekleidet und
macht einen glücklichen Eindruck.
Ab 1923 wohnt er Im Winkel 27 in Altona, einer Siedlung für
Kriegs-heimkehrer. Hier bleibt er bis zum Lebensende.
Ganz in der Nähe wohnen seine Brüder Ferdinand, Hugo und
Rudolf.
Und noch jemand wohnte zeitweilig hier: Paul Friedrichsen
Georg Hempel, Aufnahmedatum unbekannt
So sah es damals in der Straße Im Winkel (heute Rosenwinkel) aus. Eine Idylle!
Hier hat Hempel 46 Jahre lang in der Steenkampsiedlung gelebt.
Den Lebensunterhalt verdiente er hauptsächlich mit Scherenschnitten, Buchillustrationen und
kunstgewerblichen Arbeiten. Bei der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage dürfte das für eine
junge Familie außerordentlich schwierig gewesen sein. Trotzdem Hat Hempel sich für ein Leben als
freischaffender Künstler entschieden.
Junges Glück
Georg Hempel und Frau Emmi in ihrer
ersten gemeinsamen Wohnung Im
Winkel. Geheiratet hatten sie 1921 und
waren sehr glücklich. Wenige Jahre
später ist Emmi psychisch erkrankt und
blieb unheilbar. Hempel gelang es
seine Frau vor der NS-Euthanasie zu
bewahren. Bis zu ihrem Tode 1958 hat
Georg sie geduldig mehr als dreißig
Jahre lang liebevoll gepflegt.
Variationen
Scherenschnitt "Im Morgengrauen"
und anschließender "Heimritt".
Hempel hat manche Scherenschnitte
offensichtlich leicht variiert. Nun ja, ...
da liegen einige Stunden dazwischen.
Da kann ein zweiter Busch wachsen.
Exlibris
Ende der 1930er Jahre
Der Scherenschneider
Dieser Scherenschnitt von Georg Hempel ist für mich ein Meisterwerk! Es ist das erste signierte
Original, das ich bei meinen Recherchen gefunden habe, zusammen mit dem signierten "Weiblichen
Akt". Stilistisch sind beide weit entfernt von den gedruckten
Arbeiten. Befreit von den Zwängen der Auftragsarbeit hat
Hempel offensichtlich seine künstlerische Form gefunden,
ohne die üblichen süßlich romantischen Anklänge des
Sujets Scherenschnitt.
Die Brücke, ohne Datierung
Weiblicher Akt, ohne Datierung
Zwei ausdrucksstarke Bilder.
Zeitlich lassen sich beide Arbeiten nicht eindeutig zuordnen. Anhand der sehr unterschiedlichen
Signaturen kann aber ein großer zeitlicher Abstand angenommen werden.
Beide Werke wurden mir von dem Sammler J. Plantener für die Veröffentlichung zur Verfügung
gestellt. Ihm gilt mein besonderer Dank.
Selbstporträt nach seinem letzten Foto, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Der Kunsthandwerker und Kunsthändler
Georg Hempel verstand sich zunehmend auch als Kunsthandwerker.
Neben seinen Scherenschnitten und Buchillustrationen fertigte er
die unterschiedlichsten Dinge aus Metall. Dazu gehörten Knöpfe,
Schalen, Dosen, Ringe, Spangen und Broschen.
Als Berufsbezeichnung wählte er ab 1937 Kunsthandwerker, ab
1939 nennt er sich Kunsthändler.
Das Foto zeigt ihn gemeinsam mit seiner
Frau Emmy und einem unbekannten
Dritten in der Werkstatt unterm Dach im
Winkel 27.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Hempel hat auch den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden und schnell fußgefasst. Bei
Kriegsende war er 51 Jahre alt und fand sofort eine Anstellung beim Hamburger Arbeitsamt. Statt
freier Künstler, war er nun Behördenangestellter. Trotzdem blieb er nebenberuflich weithin
künstlerisch tätig, aber die Aufträge blieben aus. Buchillustrationen von ihm sind nach 1945 nicht
mehr bekannt. Der Markt für Arbeiterliteratur war tot und die Wandervogelbewegung war stehen
geblieben.
Allerdings hatte Hempel seine Formensprache auch radikal gewandelt. Die Schnitte wurden immer
abstrakter und entsprachen damit nicht dem Zeit-geschmack. Sie waren nur schwer zu verkaufen.
Das Geld blieb also knapp.
Auch als Rentner musste Hempel, trotz zunehmender Erkrankung, weiterarbeiten.
In den letzten Jahren
zeigte Hempel neuen
Gestaltungswillen und
fing auch an zu malen.
Leuchtende Farben
kamen in sein Leben.
Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Dörfliche Idylle, Sammlung Kirsten Eta, Hamburg
Nachruf
Zeit seines Lebens blieb Georg Hempel ein armer Hund.
Der Sohn eines Schlachters, selbst ein einfacher Arbeiter ohne Ausbildung,
musste zum Broterwerb allerlei Tätigkeiten übernehmen, die nicht seinen
künstlerischen Neigungen entsprachen. Trotzdem blieb er ohne Bitterkeit
seinen Überzeugungen treu.
In den letzten Lebensjahren musste Hempel immer wieder ins
Krankenhaus. Zurück in seiner bescheidenen Wohnung, wurde er von
seiner Nichte betreut und versorgt.
Heinz Blievernicht war ein alter Freund aus den jungen Jahren der Deutschen Arbeiterjugend. Er
sorgte dafür, dass Hempels künstlerischer Nachlass seit 1992 im Hamburger Museum für Kunst und
Gewerbe bewahrt wird.
Simulation 2020
Beerdigt wurde Georg Hempel auf dem Alten Friedhof in Niendorf.
Die Grablage lautet: Abteilung II Reihe 19 Stelle 5
Die Urne von Emmi Alwine Marie Hempel wurde zuvor am 14. April 1959 beigesetzt.
Sie wurde 63 Jahre alt. Das Grab von Georg Hempel und seiner Frau existierte dort bis 1990, dann
wurde die Grabstätte aufgehoben. Der letzte Nutzungsberechtige war Max Möller, er starb 1976.
Fleetenkieker
Büschen Politik
De Orgeldreier
Kein Hüsung
Stratendriewer
Aschenputtel
Peter Ruchboort
Dat Düwelspeel